Der unangenehme Moment, in dem man nicht weiß, ob man nun das Gegenüber siezen oder duzen soll, ist uns wohl allen bekannt.

Unlängst teilte mir einer meiner Schüler mit, dass aus seiner Sicht das „Sie“ überflüssig sei und er nicht verstehe, warum Deutschsprachige in der Geschäftswelt darauf bestehen würden. Bemerkung am Rande: In seiner Muttersprache wird üblicherweise geduzt. Ein Anstoß, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Auch wenn über die Jahre der Gebrauch der formellen Form des Öfteren durch die informelle eingetauscht wurde (oder Mischformen wie „Herr Paul, könnten Sie bitte…?“ entstanden sind), so gibt es für Deutschlernende ein paar Anhaltspunkte, wann welche Form zu benutzen ist.

Siezen als Zeichen des Respekts

Im deutschsprachigen Geschäftsleben oder bei neuen Kontakten wird die Sie-Form benutzt. Auf diese Weise wird Distanz, Höflichkeit und Respekt ausgedrückt. Sie lässt weder auf Sympathie noch auf Antipathie schließen. Darüber hinaus erleichtert sie sachliche und kritische Diskussionen.

Duzt die bzw. der Ranghöhere automatisch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche sie bzw. ihn jedoch siezen, wird dies als unhöflich gewertet. Bestimmte Berufsgruppen generell zu duzen wird auch nicht gern gesehen und kann als Beleidigung verstanden werden.

Wird das „Du“ angeboten, hat dies gemäß der betrieblichen Hierarchie zu geschehen. Das bedeutet, dass die Chefin bzw. der Chef das „Du“-Wort der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter anbietet. Ebenso bietet die ältere Kollegin bzw. der ältere Kollege der bzw. dem jüngeren Kollegen an, von nun an „per Du“ zu sein.

Ein weiterer Grundsatz: Das „Du“-Wort sollte nur angeboten werden, wenn es ehrlich gemeint ist (es wieder zurückzunehmen, könnte als Affront verstanden werden). Es ist ein Ausdruck von Wertschätzung, jemandem das „Du“-Wort anzubieten. Das Gegenüber hat allerdings die Möglichkeit, das Angebot höflich abzulehnen.

Duzen als Teil der Firmenkultur

Nicht nur die Kundin bzw. der Kunde wird von manch einem Möbelhaus vom ersten Moment an geduzt. Auch immer mehr Unternehmen mit flacher Hierarchie und entspannter Atmosphäre duzen grundsätzlich ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da dies ihre Firmenkultur widerspiegelt. Sie lehnen die höfliche Anredeform ab, die ihnen als zu steif und nicht mehr zeitgemäß erscheint. Stattdessen stehen der Teamgeist und oftmals ein jugendliches Lebensgefühl im Vordergrund.

Die durch das „Du“-Wort vermittelte Vertrautheit kann sich allerdings als falsche Vertrautheit entpuppen. Ebenso können Streitigkeiten leichter auf der persönlichen (statt professionellen) Ebene eskalieren.

Tendenzen

Eine allgemeine Behauptung aufzustellen, wann man „per Sie“ und wann „per Du“ sein sollte, wäre falsch. Dennoch gibt es Tendenzen: Große Firmen bleiben oft beim „Sie“, während familiär geführte Betriebe „per Du“ sind. Auch die Branche fließt bei der Wahl der Anredeform ein: Während in einer kleinen Anwaltskanzlei gesiezt wird, kann in einer großen Werbeagentur das „Du“ zum guten Ton gehören.

Frauen legen beim ersten Kontakt etwas mehr Wert auf die Höflichkeitsform als Männer. Jüngeren Menschen geht das „Du“ leichter von der Zunge als älteren Menschen.

Im Zweifelsfall siezen Sie – denn das „Du“-Wort kann dann immer noch angeboten werden.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen!

Eine spielerische Aufarbeitung zu dem Thema gibt es hier.

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